man kann nicht nur traurige zeilen schreiben

Wir hören zuhause aktuell sehr viel Musik, da mein Sohn es liebt zu tanzen und die Regler an der Bluetooth Box zu bedienen. Und so hörten wir heute früh das Lied ‚Frühling‘ von den Sportfreunden Stiller, in welchem es heißt: „Man kann nicht nur traurige Lieder singen – doch bald werden sie wieder anders klingen – wenn die ersten Sonnentage Wärme bringen.“ Ich mochte das Lied schon immer gerne und hatte nun heute aber permanent einen anderen Text dazu im Kopf: Man kann nicht nur traurige Zeilen schreiben.

Wenn ich auf die letzten 2 Jahre zurückblicke, waren meine Gedanken, meine Worte, mein Leben an sich, überwiegend von Herausforderungen und schweren Zeilen gekennzeichnet. Die letzten Wochen im September haben dem dann nochmal das iTüpfelchen aufgesetzt. Ich musste das Studio für die Abgabe vorbereiten und gleichzeitig die Eingewöhnung in der Kita begleiten. Ich musste das Studio für die Abgabe vorbereiten, die Eingewöhnung in der Kita begleiten und habe mich zudem auch noch wieder auf Jobsuche begeben und erste Gespräche geführt. Und alles hat nicht funktioniert. Die Eingewöhnung in die Kita lief nach einer vielversprechenden ersten Woche stockend und emotional herausfordernd. Der Knirps weinte (und weint immer noch) jeden Morgen bei der Abgabe und jeden Nachmittag beim Abholen. Hoffnungsvolle Bewerbungsgespräche mit dem Feedback: „Ich möchte nochmal betonen, dass Du persönlich und fachlich erneut hervorragend überzeugt hast.“ endeten aus betriebsinternen Gründen unerwartet mit Absagen. Und dann das Studio… 2 Jahre Betrieb mit Kerzen und Räucherstäbchen hatten ihre Spuren hinterlassen, sodass meine Vermieter das Studio am 30.09. nicht abgenommen haben und ich über Nacht einen Maler organisieren musste bzw. es im Zweifel hätte selbst streichen müssen. Am 01.10. wurde folglich das Wort Resilienz aus meinem Wortschatz gestrichen und ich habe nur noch geweint, geweint, geweint. Ich habe diese schwere Entscheidung getroffen das Studio zu schließen, ich habe anschließend alles dafür getan die Weichen für mein Leben nach dem Studio optimal zu stellen, ich war der festen Überzeugung, dass es nach und nach einfacher wird und es wurde aber mit jedem Tag nur schlimmer und schwieriger. Es schien alles wie ein nicht enden wollender Alptraum. Es konnte doch nicht noch mehr schiefgehen?! Ich bin sehr dankbar, dass ich aktuell in psychologischer Betreuung bin und an diesem besagten 01.10. eine Stunde lang vor meiner Psychologin gesessen und geweint, geweint, geweint habe und nicht alleine gewesen bin. Dass dort jemand gewesen ist, der mir bestätigt hat, dass diese ganzen Belastungen auf einmal, diese enorm belastenden letzten 2 Jahre gar nicht aushaltbar sind, dass alles zu viel ist und dass ich jetzt bitte aufhören muss zu funktionieren und an mich denken muss.
Ich habe im Verlauf des Tages wieder etwas Kraft schöpfen können, habe am 02.10. im zweiten Anlauf ein frisch gestrichenes Studio abgegeben und am 03.10. ging es in den Urlaub, raus und weg!

Wir hatten eine wundervolle Woche am Gardasee, haben dort den Spätsommer genossen. Es gab jeden Vormittag Cappuccino und jeden Nachmittag Eis. Ich habe 3 Bücher durchgelesen und jede Minute mit meiner Familie genossen. Wir waren 7 Nächte auf nur einem Campingplatz. Das gab es noch nie auf unseren Reisen!
Der Rückweg brachte uns für 3 weitere Nächte in die Dolomiten und wie jedes Mal in den Bergen, setzte direkt mit der Ankunft eine tiefe innere Ruhe, eine zuhause selten zu beobachtende Entschleunigung und Zufriedenheit ein. Die Sonne meinte es in diesen zwei Wochen aber auch wirklich gut mit uns und trug wohl ihren großen Teil dazu bei.

Nun wäre es ja zu schön, wenn wir direkt hier zum Titel des Beitrags – man kann nicht nur traurige Zeilen schreiben – übergehen könnten und all die Herausforderungen mit der Zeit in Italien beendet gewesen wären. Dem war und ist nicht so.

Zum Ende unserer zweiten Urlaubswoche hatte ich Geburtstag und Christian hat mich mit einer richtig schönen Unterkunft auf einer Alm mit Wellnesslandschaft überrascht.
Schon Morgens habe ich gemerkt, dass es ihm nicht so richtig gut geht. Den Weg zur Alm verbrachten wir stundenlang im Stau. Sein Gesundheitszustand wurde nicht viel besser, ich bin dennoch unter Anflehen in den Wellnessbereich gegangen. Dort konnte ich keine einzige Minute entspannen. Zum einen wollte ich an meinem Geburtstag bei meiner Familie sein, zum anderen weiß ich, wie anstrengend es ist, angeschlagen mit unserer kleinen Rakete alleine zu sein. Also bin ich nach kurzer Zeit zurück zu den beiden, um dann im Umkehrschluss mit dem Knirps alleine zu sein, da bei Christian gar nichts mehr ging. Ich habe den Kleinen um 18;30 Uhr zu ihm ins Bett gelegt und bin dann alleine zum Abendbrot. Saß dort alleine an einem liebevoll gedeckten Tisch. Saß dort alleine mit lauter Familien um mich rum. Saß dort alleine und niemand wusste, dass ich Geburtstag habe. Und somit habe ich wieder sehr viel geweint, geweint und geweint.
Ich habe in der Vergangenheit schon bewusst Geburtstage alleine verbracht und hatte tolle Zeiten. Aber in diesem Jahr, nach all der Schwere, wollte ich nicht alleine sein und was war ich, alleine. Um 20:00 Uhr habe ich mich traurig zu den beiden ins Bett gelegt und geschlafen.

Wir sind seit 1,5 Wochen zurück in Rostock und diese Geschichte wird heute weiterhin kein Happy End haben.
Ich muss immer noch viel, vor allem finanziell enorm belastende, abwickelnde Verwaltung für das Studio machen, der Kleine geht immer noch nicht gerne in die Kita, es regnet viel, die Tage sind kurz.und ich habe immer noch keinen neuen Job. Und das Jobthema ist dabei ein Thema, welches mich viel beschäftigt und im Alltag immer wieder Thema ist. Jedes Gespräch enthält die Frage, was ich nun mache?!

Ich bin jetzt 37 Jahre alt und die Anzahl meiner ehemaligen Arbeitgeber kann ich noch gerade so an 2 Händen abzählen. Ich habe im internationalen Konzern gearbeitet, ich habe im öffentlichen Dienst gearbeitet, ich habe in KMUs und bei einer NGO gearbeitet, ich war selbstständig. Kurzum habe ich jetzt wohl alle Gesellschaftsformen durchlaufen. Ich war in Unternehmen mit denen ich mich überhaupt nicht identifizieren konnte und ich war in Unternehmen, wo ich mich sehr sehr wohl gefühlt habe, mich die Unternehmensstrukturen aber mehr oder weniger zum Gehen gezwungen haben. Ich bin Financial Professional und kann mich stundenlang in Excel und Zahlen verlieren, mein Herz pocht aber ebenso für Cultural Change & Development. Ich habe die Freiheiten der Selbstständigkeit lieben gelernt und gleichzeitig das Arbeiten im Team enorm vermisst. Ich möchte Sicherheit und ich möchte Zeit haben um zu schreiben und Yoga zu unterrichten. Ich möchte Dinge bewirken und vorantreiben, ich möchte dies aber im Einklang mit meinem Familienleben machen. Ich möchte Mama sein und da sein. Ich möchte jede Minute genießen und mich nicht damit zufrieden geben, dass dies im Alltag vermeintlich schwer möglich ist.

Ich weiß noch nicht, was ich nun mache. Ich weiß nur, dass ich den festen Glauben und die tiefe Zuversicht habe, dass all dies irgendwie möglich ist und so bin ich nach diesen herausfordernden 2 Jahren, nach meinem bisher eher unruhigen Berufsleben immer noch nicht müde, danach zu greifen, erneut Risiken einzugehen, mutig Neues auszuprobieren – bis ich ankomme.

Und auch wenn ich heute wohl noch überwiegend traurige Zeilen geschrieben habe, bin ich zuversichtlich, dass dies von Mal zu Mal weniger wird. Das am Ende des Weges vielleicht eine Blaupause entstanden ist, die nicht nur mir geholfen hat, sondern auch anderen helfen kann.

Und so beende ich den Beitrag heute nicht mit einem Happy End, sondern mit Zeilen aus meiner aktuellen Lektüre „Rising Strong“ von Bréne Brown:

…, we also need a critical mass of badasses who are willing to dare, fall, feel their way through tough emotions, and rise again. And we need these folks leading, modeling, and shaping culture in every capacity, …

Alles Liebe,
deine Claudi!

Epilog

Zwei der von mir im Urlaub gelesenen Bücher kann ich Euch wärmstens weiterempfehlen:

Die Assistentin von Caroline Wahl – Ich habe mich anfänglich sehr schwer getan in das Buch zu finden und habe mir lange Ida und Tilda herbeigewünscht. Dann konnte ich das Buch jedoch nicht mehr aus der Hand legen. Vielleicht, weil es so viele Parallelen zu meiner aktuellen und vergangenen Lebenssituationen hat.

The Wedding People von Alison Espach – Die perfekte Spätsommerlektüre. Die Zeilen flogen nur so dahin und es ist das perfekte Buch, um einfach mal zu lesen, sich zu verlieren und nicht nachzudenken.

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